Von der Willkommenskultur zur Kultur der Ausgrenzung unerwünschter Geflüchteter
Helfer*innenvereine als Kompliz*innen von Rom*nija-Abschiebungen?
Der folgende Beitrag entstand auf dem Hintergrund der Deportation einer Rom*nija-Familie aus dem Münsterland am 13. Dezember 17 in das Kosovo (wir berichteten darüber). Er versteht sich als Diskussionsangebot, in dem versucht wird, der Frage nach der Einbindung links-alternativer Kreise der Flüchtlingshilfe in die staatlich verordnete Segregationspolitik auf den Grund zu gehen
Im Fall der Mitte Dezember, trotz eines laufenden Petitionsverfahrens, nach Kosovo abgeschobenen Rom*nija-Familie B. aus Drensteinfurt/Kreis Warendorf im Münsterland (wir berichteten darüber) war der Petitionsausschuss bereits im November oder Anfang Dezember von der ABH darüber informiert worden, dass der Ausgang der Petition nicht abgewartet, sondern abgeschoben wird, sobald die Vorbereitungen dazu abgeschlossen wurden. Die grüne Berichterstatterin in dieser Petition hat daraufhin nicht mich als Petentin gewarnt, sondern nur mit dem örtlichen Helfer*innenkreis gesprochen. Von dort war (mir gegenüber) die Familie als Lügner und Kriminelle stigmatisiert worden, die sich gegenüber den Helfer*innen z.B. bei der Ausgabe von Sachspenden nicht als dankbar erwiesen, sondern im Gegenteil „wie Chefs aufführen“ würden. Erst nach der vollzogenen Abschiebung, durch die der älteste, zufällig nicht angetroffene 17-jährige Sohn von seinen Eltern und Geschwistern rechtswidrig getrennt wurde, informierte mich eine wiss. Mitarbeiterin im Petitionsausschuss über die Gründe u.a. wie folgt:
„…Ich muss leider aus aktuellem Anlass noch anfügen, dass sich die Flüchtlingshilfe vor Ort nicht für einen Verbleib der Familie ausgesprochen hat, da sie durch ihr u.a. auch kriminelles Verhalten für die Flüchtlingsarbeit in vielfacher Hinsicht eine Belastung war, gegenüber anderen Familien, die sich stetig um Integration bemühen und ebenfalls um ihren Aufenthalt bangen. Das…wurde uns aber von verschiedenen Seiten zugetragen. Die engagierten Flüchtlingshelfer vor Ort haben uns bereits signalisiert, dass sie sich in diesem Fall nicht engagieren möchten…“
Der Petitonsausschuss sollte sich dieser „Bewertung“ der Familie anschließen:
Die Berichterstatterin nahm die von der Petentin eingebrachten Berichte und Belege für die Integrationsbemühungen (Arbeits- und Wohnungssuche, die durch die Hindernisse von ABH und Sozialamt praktisch erfolglos bleiben mussten, und trotzdem regelmäßige Schulbesuche der Kinder) und die Verschlechterung der Gesundheit der Kinder und ihrer Mutter durch die Zwangsumsiedlung in eine Geflüchteten-Männer-Gemeinschaftsunterkunft entweder nicht zur Kenntnis, oder sie hielt sie nicht für relevant. Sie hatte vermutlich schon im Vorfeld auf die Einberufung eines Erörterungstermins verzichtet, in dem gemeinsam mit der ABH nach einer Schlichtungslösung hätte gesucht werden können. Die Prognose, rechtliche Mittel seien ausgeschöpft, und eine Abschiebung könne sowieso nicht mehr verhindert werden, bezog sich allein auf die BAMF-Urteile mit den Asylantrags-Ablehnungen, nicht jedoch auf die Möglichkeit, auf dem Hintergrund der Familienbiografie (bereits seit 2004 in Deutschland, alle Kinder hier beschult) mit der ABH über Gründe für ein humanitäres Aufenthaltsrecht zu verhandeln.
Warum wurde von vornherein auf den Erörterungstermin verzichtet?
Es liegt nahe, dass diese ABH sich gegen ein humanitäres Aufenthaltsrecht mit allen Kräften stemmen würde, sie hatte ja bereits seit 2010 versucht, Familie B. um jeden Preis „loszuwerden“ – die dann frecherweise und ungefragt auch noch zur Groß-/Mutter nach Belgien weiterflüchtete, anstatt das Angebot zu „freiwilliger Rückkehr“ anzunehmen! Im Gespräch der Berichterstatterin mit mir (erst nach dem Vollzug der Deportation) begründete sie es aber so: Auf Verhandlungen mit der ABH habe man verzichtet, weil ein Einsatz für diesen „rechtlich aussichtslosen Fall“ die Bleibechancen für andere Geflüchtete (die mit höherwertiger Bleibeprognose?) bei der ABH gefährden könne! Gegen die vorzeitige Abschiebung sei nichts einzuwenden, auch wenn sie für die betroffene Familie sehr „bedauerlich“ sei. Der Petitionsausschuss würde dagegen nicht protestieren, denn die Berichterstatterin, eine sonst im Petitionsausschuss sehr engagierte Grüne, wollte sich bei der ABH Kreis Warendorf ja nicht in ein schlechtes Licht setzen, um die angeblich günstigeren Prognosen für andere Petitionsfälle nicht zu gefährden. Außerdem betonte sie, dass sie mit der (von vielen Geflüchteten als besonders rassistisch beschriebenen, gehassten und gefürchteten) ABH Kreis Warendorf auf eine „gute Zusammenarbeit“ zurückblicken konnte, die sie „nicht aufs Spiel setzen“ wolle!
Folgerichtig wurde nach der Abschiebung der Familie beim ersten Termin im Petitionsausschuss im Januar in wenigen dürren Worten die Ablehnung der Petition beschlossen:
- die 5 schulpflichtigen/schulbesuchenden Kinder wurden dabei schlicht unterschlagen, noch nicht mal in der Betreffzeile genannt,
- die rechtswidrige Trennung der Familie blieb unter den Tisch gekehrt,
- die Krankheiten mit der Suizidneigung der traumatisierten Frau blieben unberücksichtigt,
- die von der Stadt der Familie aufgezwungenen erschwerten Lebensbedingungen im Männerlager ebenso,
- und selbstverständlich kein Wort darüber, dass im Kosovo Roma und Romnija kumulativ verfolgt und ausgegrenzt werden
Heißt es nicht: wo gehobelt wird, da fallen Späne, die Guten ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen, und dabei sollen wir alle mitmachen, weil wir schließlich nicht ALLE aufnehmen können? Nachtigall ick hör dir trappsen, war da mal was früher bei den Nazis? Aber das ist ja lange her, solche Moralapostel, die immer Vergleiche ziehen müssen, wollen wir nicht mehr hören. Denn wir sind nicht für die Untaten unserer Vorfahren verantwortlich! Dass es fast immer die Roma sein müssen, die nun mal „nicht zu uns passen“ und deshalb „raus“ müssen, ist „rein zufällig“, dafür kann schließlich keineR was außer den Roma selbst. Wenn sie sich nicht betragen können, sollen sie sehen wo sie bleiben, jedenfalls nicht bei uns! Schließlich sind wir als Flüchtlingshelfer*innen ja wohl ausgewiesene Antirassist*innen, oder?
Kämpfe um das Bleiberecht: Roma bleiben auf der Strecke
Verzeihung, im Fall der Roma, die heute die ersten sind, die in den Kämpfen um das Bleiberecht auf der Strecke bleiben, kann ich wegen der heute existenziellen Gefahren für Leib und Leben der Roma in den sog.sicheren Herkunftsländern des Balkan ohne den Verweis auf die Geschichte nicht auskommen:
Zur Zeit des Holocaust und Porajmos (Völkermord an den Roma und Sinti im NS) müsste das eben Geschilderte als Beihilfe zur Selektion von „lebensunwertem“ Leben bezeichnet werden.
Heute wird es aber kleingeredet mit der Begründung, dass mensch „realistisch“ sein müsse und lieber das Erfolgreiche und Machbare anstreben sollte, weil „höhere“ Ziele nur Illusionen seien, die zwangsläufig zu Enttäuschungen führen müssten. Dass die neuen Ausländergesetze rassistische Selektion und existentielle Vernichtung bedeuten, dass sie die massenmörderische Kehrseite der heutigen Demokratie spiegeln, deren Wirksamkeit bekämpft werden muss, weil sie erneut das globale Massensterben legitimieren, wovon wir im reichen Westeuropa mit unseren weltweiten Geschäften unmittelbar profitieren, davon möchte niemand reden.
Lieber passt mensch sich an das „Machbare“, also an die selektiven Vorgaben der Behörden an, nach denen sich jede*r Geflüchtete strecken muss und dennoch kaum eine*r sein/ihr Ziel erreicht. Lieber wird mensch als Helfer*in oder linksgrüne Politiker*in nur dort aktiv, wo es „lohnt“, also wo es bei den Behörden Erfolgschancen gibt – vorausgesetzt, dass die Geflüchteten punkten können in ihrem Wettlauf um die bessere Integration!
Roma sind die am meisten Betroffenen von den heute massenhaften Deportationen und erzwungenen Ausreisen
Wenn, wie heute üblich, immer selbstverständlicher nachgebetet wird, dass nur die Geflüchteten mit der „höheren Bleibepersepktive“ eine Integrationschance bekommen und die mit der „geringen Bleibeperspektive“ (aus „sicherem Herkunftsland“ kommend) gleich in Sonderlager bis zur unausweichlichen Abschiebung oder erzwungenen Ausreise gesperrt werden dürfen, dann ist es klar, dass damit zuallererst die Roma gemeint sind! Roma sind von den heute massenhaften Abschiebungen und erzwungenen Ausreisen die am meisten Betroffenen, auch wenn sie statistisch nur als Staatsbürger*innen von sog. sicheren Herkunftsländern auftauchen. Dabei sind die meisten, in den letzten Jahren z.T. erneut hierher geflüchteten, Roma aus den heutigen Balkanstaaten bereits aus dem Bürgerkrieg des ehemaligen Jugoslawien geflohen, das es bekanntlich heute nicht mehr gibt, und in dem ihre Diskriminierung als verfolgte Minderheit längst nicht die Ausmaße von heute erreicht hatte. Heute haben die Roma gar keinen Herkunftsstaat mehr, der sie folglich auch vor ihrer Verfolgung schützen können müsste. Sie sind de facto staatenlos und sollten als solche auch in Deutschland anerkannt werden, denen aufgrund ihrer Verfolgung durch unsere Vorfahren hier als Mindestentschädigung ein generelles Bleiberecht zusteht!
Geflüchtete, die uns nützen, gegen Geflüchtete, die nur essen und leben wollen
Aber genau diese Einsicht verflüchtigt sich immer mehr. Stattdessen nehmen die antiziganistischen Klischees und Segregationen der „unnützen Esser*innen“ von den „nützlichen“ Geflüchteten einen immer breiteren gesellschaftlichen Raum ein. Weil Roma offiziell als „Wirtschaftsflüchtlinge“ bezeichnet werden – welch ein Euphemismus angesichts ihrer kumulativen Verfolgung, mit der sie zwar nicht direkt in Vernichtungs- und Arbeitslagern umgebracht, aber so radikal und gewaltsam aus ihren Herkunfts-Gesellschaften rausgedrängt werden, dass ihnen und ihren Kindern jede Zukunft und jede existenzielle Grundlage versperrt wird! – , nimmt auch in der Unterstützer*innenszene die Bereitschaft ab, ihre Fluchtgründe ernstzunehmen und gegen ihre Deportationen zu protestieren. Stattdessen, wie im hier gezeigten Fall, werden sie generell als „Lügner“ und „Kriminelle“ stigmatisiert (Beispiel Familie B.: keins ihrer Mitglieder wurde bisher strafrechtlich verfolgt, nicht mal wegen Fahrens ohne Fahrschein!).
Die in NRW fast wöchentlich mit Abgeschobenen vom Flughafen Düsseldorf startenden Sammelcharter in die Balkanstaaten geschehen zunehmend lautlos und ohne Proteste. Protestiert wird nur noch gegen die empörenden Deportationen direkt in die Kriegsgebiete von Afghanistan und manchmal auch in andere „richtige“ Kriegszonen, nicht aber in die „sicheren Herkunftsländer“. Mit der letzten Protestdemo auf dem Flughafen Düsseldorf gegen Roma-Abschiebungen 2014 kündigte die Ini gegen Abschiebungen in NRW, ausgerechnet mit dem Beginn der großen Ausreisebewegungen (der „Abstimmung mit den Füßen“ gegen ihre korrupten Regime) aus dem Kosovo, Serbien und Albanien, das Ende ihrer Flughafenaktionen an, sie löste sich damit praktisch auf.
Generelles Bleiberecht für alle hier lebenden Roma als Mindestentschädigung und Entschuldigung für die Völkermord-Verbrechen unserer Vorfahren an ihren Vorfahren?
Bitte setzt euch untereinander mit dieser Kritik auseinander, überlegt selbst, warum ihr für das Bleiberecht der Roma eure Füße nicht mehr vom Sofa wegbewegt. Und diskutiert, wie ihr das ändern könnt, denn es ist schon viel zu spät dazu. Denn trotz alledem müssen wir die tödliche Maschine anhalten, die heute die Geflüchteten auf dem Meer ermordet oder sie zurück in die Folter- und Sklavenlager Libyens schickt, oder sie auf den griechischen Inseln und in den türkischen Lagern durch Verhungern und sinnloses Warten zerstört, oder sie innerhalb Deutschlands einem gnadenlosen Regime der Kontrolle und Segregation in Lagern unterwirft, in denen Menschenrechte systematisch nicht mehr gelten.
Roma organisieren sich bekanntlich nicht so gut, was ihre Unterstützung erschwert. Aber die eigene Verantwortung für die Beendigung der historischen Verbrechen an ihnen wiegt dafür umso schwerer, wenn wir weiter an der Zerstörung ihrer Zukunft mitarbeiten, statt dagegen tausendfach und tausendmal aufzustehen und mit dafür zu sorgen, dass die Zukunft der Rom*nja in Deutschland liegen wird.
- Bitte protestiert beim Petitionsausschuss des Landes NRW in Düsseldorf – petitionsausschuss@landtag.nrw.de und/oder direkt bei sigrid.beer@landtag.nrw.de und vera.esders@landtag.nrw.de – gegen das Mithelfen und Dulden bei der Segregation von Roma und ihrer Deportation in die Zukunfts- und Existenzvernichtung, wie das Beispiel der im Dezember 17 abgeschobenen Familie B. aus Drensteinfurt mit der Zustimmung der örtlichen Flüchtlingshilfe DAF sowie Mitgliedern des Petionsausschusses zeigt! Erinnert auch die Mitglieder des Petitionsausschusses an ihre historische Verantwortung für ein generelles Bleiberecht für Roma, für ein generelles Abschiebeverbot insbesondere von Familien mit schulpflichtigen Roma-Kindern!
- Protestiert beim deutsch-ausländischen Freundeskreis DAF – info@daf-drensteinfurt.de – gegen ihre Kompliz*innenschaft bei der Abschiebung der Roma-Familie B.!
- Protestiert weiter bei der ABH und dem für die Abschiebung verantwortlichen Landrat Gericke im Kreis Warendorf, z.B. unter https://www.kreis-warendorf.de/landrat/kleiner-dienstweg-landrat-online/! Fordert die Rückholung mindestens eines Elternteils zu dem hiergebliebenen minderjährigen Sohn und die sofortige Löschung der Wiedereinreisesperre für die Familie!
- Spendet weiter für das FFM-Projekt „für die Zukunft abgeschobener Roma-Kinder“ auf das Spendenkonto bei der Forschungsgesellschaft Flucht und Migration unter dem Stichwort „Zukunft für Roma-Kinder“ bei der
Sparkasse der Stadt Berlin
IBAN: DE68 1005 0000 0610 0242 64 - Auch kleine Spenden machen Sinn, besonders, wenn sie als Dauerauftrag in monatlichen Zeitabständen eingerichtet werden. Die Spenden sind steuerlich absetzbar.
- Schaut auch auf die im Aufbau befindliche website https://ffm-balkan.org/ – https://ffm-balkan.org/neues-zur-abschiebung-der-romafamilie-b-aus-kreis-warendorf/ und https://ffm-balkan.org/spendenkampagne-fuer-die-zukunft-der-roma-kinder/, wo ihr mehr zur Migration zwischen den sog. Balkanstaaten und Deutschland und die neue deutsche Deportationswut gegenüber Roma und auch den aktuellen Abschiebungs“fall“ der Familie B. aus Drensteinfurt finden werdet. Auch den offenen Protest-Brief eines SPD-Mitglieds im EU-Parlament gegen diese Abschiebung kann mensch dort lesen sowie die dazu geschickte Pressemitteilung.
- Und hier geht es zu einem Hörbeitrag von/für Radio Dreyeckland Freiburg, zum runterladen und weiterleiten:
https://rdl.de/beitrag/helfervereine-als-komplizen-von-roma-abschiebungen/
deportation der romafamilie aus drensteinfurt im dezember 17: helfervereine als komplizen von roma-abschiebungen?
Mit besten Grüßen
Eva Weber, Forschungsgesellschaft Flucht & Migration e.V.