Taz 25. 7. 2024, 10:39 Uhr Kommentar von Cem-Odos Güler
Sommerpressekonferenz: Scholz hat die Symbolik umgekehrt
Wo Merkel einst ihren berühmten Satz sagte, kündigt der Kanzler nun Abschiebungen nach Syrien an – und hat damit den Anschluss zur Mitte verloren.
Foto: Fließende Übergänge zwischen Arroganz und Munterkeit: Bundeskanzler Olaf Scholz bei der Sommerpressekonfernz
Olaf Scholz baut seinen Ruf als Abschiebekanzler aus, dafür ist ihm nicht einmal die Symbolik der Berliner Sommerpressekonferenz zu schade: Neun Jahre ist es her, dass hier mit Angela Merkel eine Bundeskanzlerin von der CDU zur Aufnahme von Geflüchteten aus Syrien und Afghanistan die Losung ausgab: „Wir schaffen das.“ Scholz, ihr Nachfolger von der SPD, nutzte dieselbe Bühne am Mittwoch für die Ankündigung, dass Deutschland bald wieder nach Syrien und Afghanistan abschieben werde.
Beim Thema Migration, aber auch beim Krieg in Gaza zeigt sich, dass der Kanzler wirklich so unfähig zur Empathie ist, wie es ihm nachgesagt wird. Damit wird er bei der kommenden Wahl nicht bestehen – auch wenn er es selbst nicht wahrhaben will und schon mal ankündigte, wieder kandidieren zu wollen.
Der Bundeskanzler verbuchte es als seinen Erfolg, dass in diesem Jahr die Abschiebezahlen um 30 Prozent gestiegen sind. Scholz wirkte bei der Pressekonferenz sichtlich froh über diese Leistung. Rhetorisch ist er damit nah bei Horst Seehofer, der sich 2018 als Innenminister von der CSU über 69 Abschiebungen nach Kabul an seinem 69. Geburtstag gefreut hatte, während zeitgleich die Taliban das Land zurückeroberten. Es ist kaum vorstellbar, dass innerhalb der SPD diese Analogien nicht auch gesehen werden. Nur was folgt daraus?
Vermutlich nichts. Fast wirkt es, als seien die progressiven Kräfte in Deutschland entweder zu ausgebrannt für jegliche Debatte oder einfach faul geworden. Dass Scholz diese intellektuelle Langeweile gut verkörpert, ist nichts Neues. Tragisch ist aber seine gleichzeitige Selbstverliebtheit, die ihn tatsächlich blind zu machen scheint. Wer keine humanistischen Positionen vertreten will, sollte wissen, dass sich in Deutschland auch mit humanistischer Rhetorik Wahlen gewinnen lassen – Merkel wusste das und setzte es geschickt ein.
Ein außenpolitischer Hammer
Mit ihrem Auftritt bei der Sommerpressekonferenz 2015 wurde sie zu einem Symbol einer neuen deutschen Integrität und Menschlichkeit und konnte damit auch in der progressiven Mitte Wahlen gewinnen. Scholz hat diese Gruppe verloren.
Mit seinen Argumenten ließ der Kanzler mal wieder tief blicken. Beim Thema Migration gab er neben der Abschiebeoffensive die Interpretation zum Besten, Immigration müsse sich für Deutschland lohnen, denn es könne nicht sein, dass sich „hier jemand einen bequemen Lenz macht“.
Deutschland brauche Leute, „die hier gut reinpassen, die fleißig sind“. Wer genau hinhört, kann hier die dog whistle des Kanzlers vernehmen, mit der er für Kenner darlegt, dass „Abschiebungen“ und „faule Ausländer“ kein unzusammenhängendes Begriffspaar mehr sein muss.
Außenpolitisch hatte Scholz etwas zu präsentieren, das sich noch als echter außenpolitischer Hammer entpuppen könnte. Gemeint ist hier nicht sein Festhalten an Waffenlieferungen nach Israel, das an sich schon einer moralischen Bankrotterklärung gleich kommt.
Moralische Bankrotterklärung
Gemeint ist die „Vorbereitung“ von Abschiebungen von Syrer*innen, die eine Zusammenarbeit mit der syrischen Administration und dem Schlächter Baschar al-Assad voraussetzen würde. Glauben der Kanzler und seine Partei ernsthaft, mit solchen moralischen Verrenkungen aus dem Umfrageloch zu kriechen – und wenn ja, wäre es das wert?
Der moralische Kompass des Kanzlers braucht eine Neujustierung. Das zeigte sich auch bei Scholz Antworten zum Krieg in Gaza und dem Gutachten des Internationalen Gerichtshofs, das Israels Siedlungspolitik als völkerrechtswidrig bewertet hatte. Scholz spulte den deutschen Standard-Sprech ab, Deutschland stehe weiter hinter einer Zwei-Staaten-Lösung und führe Gespräche mit beiden Seiten.
Dass es für die verbliebenen progressiven Kräfte auf jenen „beiden Seiten“ in Israel und Palästina ein Schlag in die Magengrube ist, dass Deutschland weiterhin Waffen an die israelischen Streitkräfte liefern würde, ist dem Kanzler sichtlich egal.
taz 23. 7. 2024, 19:47 Uhr Frederik Eikmanns
Syrische Geflüchtete: Richter rütteln am Schutz
Ein Gericht in Münster sieht keinen Grund mehr, Syrer*innen subsidiären Schutz zu gewähren. Eine Studie zeigt indes, wie gut sie sich integrieren.
Als Geflüchtete aus Syrien 2015 noch willkommen waren im Münsterland Foto: Funke Foto Services/imago
BERLIN taz | Ein Urteil des Oberverwaltungsgerichtes Münster stellt den subsidiären Schutz für Geflüchtete aus Syrien infrage. Die Lage dort sei nicht mehr so gefährlich, dass sie diesen Schutzstatus rechtfertige, so das Gericht in einer Mitteilung von Montag. Menschenrechtsorganisationen kritisieren das scharf.
Verhandelt wurde der Fall eines Mannes, der 2014 nach Deutschland gekommen war und dagegen geklagt hatte, dass er weder als Flüchtling anerkannt wurde noch subsidiären Schutz bekommen hatte.
Dies wiesen die Richter*innen nun ab, weil der Mann als Schleuser verurteilt ist. Sie stellten aber auch fest, dass der Mann selbst ohne Verurteilung keinen Anspruch auf Flüchtlingsschutz oder subsidiären Schutz hätte. Für ersteres muss eine politische Verfolgung vorliegen, was bei Menschen aus Syrien eher selten festgestellt wird. Subsidiären Schutz, der oft bei der Bedrohung durch einen Bürgerkrieg ausgesprochen wird, haben Syrer*innen aber bisher in vielen Fällen erhalten.
Genau daran rüttelt nun das Gerichtsurteil: Zwar stellen die Richter*innen fest, dass in Syrien und der Herkunftsprovinz des Mannes, Hasaka, durchaus noch gekämpft werde, dies erreiche „jedoch kein solches Niveau (mehr), dass Zivilpersonen beachtlich wahrscheinlich damit rechnen müssen, im Rahmen dieser Auseinandersetzungen und Anschläge getötet oder verletzt zu werden.“ Es ist das erste Mal, dass ein so wichtiges Gericht eine derartige Entscheidung zum subsidiären Schutz trifft. Es könnte passieren, dass sich andere Gerichte daran künftig orientieren.
„An der Realität vorbei“
Menschenrechtsorganisationen sind entsprechend entsetzt. „Die Situation in Syrien ist weiterhin katastrophal“, betont Sophie Scheytt von Amnesty International. „Der bewaffnete Konflikt in Syrien ist nicht vorbei, sondern tobt unverändert weiter.“ Wiebke Judith von ProAsyl sagt der taz, es sei „vermessen“ darüber zu spekulieren, ob Syrien sicher sei. „Wir wissen, dass die Lage in Syrien extrem prekär ist.“ Das Urteil gehe „an der Realität vorbei“.
Offen ist, ob das Urteil die Entscheidungspraxis des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) beeinflussen wird. Personen, die bereits Schutz erhalten haben, wird dieser aber wohl nicht wieder entzogen. Das BAMF geht diesen Schritt bisher nur selten und viele der Syrer*innen, die 2015 und 2016 nach Deutschland kamen, sind inzwischen ohnehin eingebürgert. Relevant könnte das Urteil vor allem für Personen werden, über deren Asylantrag erst noch entschieden wird.
Selbst wenn das BAMF künftig keine Grundlage mehr für subsidiären Schutz sähe, dürfte Neuankömmlingen aus Syrien aber trotzdem keine Abschiebung drohen: Zum einen dürfte dann ein Abschiebeverbot greifen, für das die Anforderungen niedriger sind als für subsidiären Schutz. Zum andern hat Deutschland derzeit keine diplomatischen Kontakte zu Syrien – genau diese wären aber nötig, um Abschiebungen in der Praxis umzusetzen.
Zuletzt hatte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) allerdings angekündigt, zumindest die Abschiebung von Straftätern, Gefährdern und Terror-Sympathisanten durch eine Kooperation mit Nachbarländern Syriens wieder zu ermöglichen.
Arbeitsmarktintegration gelingt
Eine am Dienstag veröffentlichte Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung zeigt derweil, dass sich syrische und irakische Geflüchtete gut in den deutschen Arbeitsmarkt integrieren. Die Coronapandemie hatte diese positive Entwicklung nur kurzzeitig unterbrochen.
Für die Untersuchung wurden knapp 3.500 syrische und irakische Geflüchtete, die nach ihrer Ankunft in Deutschland Sozialhilfeleistungen bezogen, über einen Zeitraum von sechs Jahren ab 2016 beobachtet. 2022 übten knapp 60 Prozent der Geflüchteten eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung aus.
Die Quote der Sozialhilfeempfänger*innen sank kontinuierlich: von gut 70 Prozent im Jahr 2016 auf etwa 30 Prozent im Jahr 2022. Für Geflüchtete, die zwischen 2014 und 2016 erstmals Grundsicherung erhielten, galten ähnliche Ergebnisse wie für die Nachfolgegeneration.
Martin Rosemann, SPD-Bundestagsabgeordneter und Sprecher der Arbeitsgruppe Arbeit und Soziales, sagte der taz: „Die Ergebnisse der Studie sind sehr erfreulich. Sie zeigen, dass wir bei der Integration von Geflüchteten in den Arbeitsmarkt sehr gut dastehen und damit auch ein Teil des Arbeitskräftebedarfs gedeckt werden kann.“ Rosemann appellierte: „Um Geflüchtete nachhaltig in Arbeit zu vermitteln, sind eine verlässliche Kinderbetreuung, ausreichend Sprachförderung und gezielte Qualifizierung entscheidend. Das bedeutet, dass vor allem in diese Bereiche investiert werden muss“.