Weihnachtsbotschaft 2017

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Weihnachtsbotschaft der FFM am 24.12.2017

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Freund*innen und Kolleg*innen,
Erinnern Sie sich: Es war 11 Tage vor Weihnachten, dass die Eltern mit 4 Kindern zwischen 10 und 15 Jahren der Roma-Familie B. aus Drensteinfurt (Kreis Warendorf/Münsterland) frühmorgens aus den Betten gerissen und zum Flughafen Düsseldorf verbracht wurden, um von dort nach Prishtina/Kosovo abgeschoben zu werden¹

Die Abschiebung geschah trotz einer nicht abgeschlossenen Petition beim Landtag NRW, über die mir ein möglicherweise schon im Januar 2018 bevorstehender Erörterungstermin angekündigt worden war.

Ergänzungen zur Fluchtgeschichte:

Die Familie war 2004 aus dem Kosovo mit 3 Kindern nach Deutschland geflüchtet. Herr B. war bereits als Jugendlicher in Deutschland gewesen und wurde mit seinen Eltern noch während des Bügerkriegs im Kosovo Ende der 90er Jahre abgeschoben. Frau B. hatte bereits als Kind zu Anfang der 90er Jahre den gewaltsamen Tod ihres Vaters, der vermutlich von Serben umgebracht wurde, miterleben müssen. Nach dem Ende des Kosovokriegs und dem Abzug der Serben wurden die Roma als Sündenbock für die Kriegsverbrechen von allen Seiten ausgegrenzt, mit Hass überzogen und verfolgt. In den Jahren 2000 und 2004 wurden im Kosovo Häuser und ganze Romaviertel angesteckt und die Menschen massenhaft (erneut) in die Flucht getrieben. Frau B. musste dabei zusehen, wie das Häuschen ihrer Großmutter angezündet wurde und diese darin verbrannte. Sie erlitt schwere Traumatisierungen. Mit ihrem Mann und 3 KIndern flüchtete sie 2004 nach Deutschland. Ihre beiden jüngsten Kinder wurden 2006 und 2007 in Ahlen/ NRW geboren.

Die Flucht-Odyssee ging weiter. Denn die Familie schaffte es nicht, Aufenthaltserlaubnisse zu bekommen, im Gegenteil, sie wurde, wie schon die Eltern des Mannes früher, von der ABH Kreis Warendorf von Beginn an mit
Abschiebungsandrohungen und Kettenduldungen so in Angst und Schrecken versetzt, dass sie 2010 nach Belgien weiterflüchtete. Die Kinder besuchten auch in Belgien Schulen und lernten französisch und flämisch. Jedoch wurde die Familie 2014 gezwungen, wieder nach Deutschland / Kreis Warendorf zu gehen – zeitgleich mit dem Beginn einer erneuten Flüchtlingswelle von Roma aus dem Kosovo. 2015 flüchtete auch ein Großteil der Mehrheitsbevölkerung aus Kosovo und angrenzenden Balkanländern, weil selbst diese kaum Chancen auf eine würdige Existenz für sich sahen.

Steine zur Verhinderung von Integration

Die seit 2015 in Deutschland Schlag auf Schlag durchgesetzten Verschärfungen im Asyl- und Ausländerrecht (u.a. die Definition von Kosovo u.a. Balkanländern zu sog. sicheren Herkunftsstaaten) nahmen erst recht den Roma fast jede Chance, hierbleiben zu können. Nachdem die letzten Asylfolgeanträge der beiden in Deutschland geborenen Kinder der Familie B. im Juli 2017 (wegen des Konstrukts „sicheres Herkunftsland“ als „offensichtlich unbegründet“) abgelehnt worden waren, schien der Zug für die Familie abgefahren.

Die Petition der FFM im Juli 2017 war dann ein erneuter Versuch, der Familie Luft zu verschaffen, damit sie ihre Integrationsbemühungen unter Beweis stellen konnte. Jedoch wurde die Familie fast zeitgleich von der Stadt Drensteinfurt aus ihrer Wohnung zwangsgeräumt und sie in eine Geflüchteten-Männerunterkunft eingewiesen, in der die traumatisierte Frau und die Kinder zeitgleich erkrankten bzw. die Symptome bei Frau B. sich sehr verschlechterten. Für ein Arbeitsangebot in Münster kam die beantragte Arbeitserlaubnis so spät, dass die Firma die Stellen inzwischen besetzt hatte. Die weiter nur kurzfristigen Duldungen mit Wohnsitzauflage erschwerten die Jobsuche ungemein, zumal im Landkreis zu viele Bewerber*innen um viel zu wenige Jobangebote konkurrieren mussten. Die Eltern waren so viel sie konnten auf Job- und Wohnungssuche, während die Kinder trotz der widrigen Wohnbedingungen sich um regelmäßige Schulbesuche bemühten. Die Stadt änderte jedoch nichts an der Unterbringung der Familie in 1 1/2 Zimmern des Wohnheims. Im November arbeiteten beide Eltern B. eine Woche „auf Probe“ in einer fleischverarbeitenden Firma. Die fragwürdigen Arbeitsbedingungen und Löhne (die „Probestunden“ blieben ganz unbezahlt, das Lohnangebot war knapp auf oder unter dem Mindestlohnniveau, bei großer Akkordhetze am Band, unter Gestank, Lärm und ohne Schutzkleidung) waren unzumutbar, aber andere Jobsuchen schlugen unter diesen Bedingungen ganz fehl.

Mitwissende von der Aussortierung und Ausgrenzung der Romafamilie

In dieser von der Stadtveraltung Drensteinfurt und ABH Warendorf offenbar
willentlich festgefahrenen Situation geschah die für uns so unerwartete und brutale Abschiebung jedoch keineswegs aus heiterem Himmel:

 ⋅ Der Petitionsausschuss im NRW-Landtag

Wie wir nachträglich erfuhren, hatte die ABH dem Petitionsausschuss vorher angekündigt, dass sie hier nicht abwarten wolle, ungeachtet des sonst verabredeten Zuwartens während Petitions- oder Härtefallverfahren, sondern vorher abschieben werde, sobald alles dafür vorbereitet sei! Die Berichterstatterin im hier anhängigen Petitionsverfahren kontaktierte darauf nicht mich, die Petentin und von der Familie Bevollmächtigte von der Forschungsgesellschaft Flucht und Migration e.V., sondern den Deutsch-Ausländischen Freundeskreis DAF Drensteinfurt, eine örtliche Hilfsorganisation für Geflüchtete. Obwohl Familie B. nach ihren eigenen Aussagen mit den Helfer*innen dieses Vereins schon lange keinen Kontakt mehr hatte, wurde sie gegenüber der Berichterstatterin so negativ beschrieben, dass letztere ihren eigenen Eindruck von der Situation offenbar ebenfalls sehr negativ bewertete. Erst nach der erfolgten Abschiebung rief die Berichterstatterin mich an und sagte, es habe für die Familie B. „keinerlei Chance“ bestanden, dass sie im Petitionsverfahren Erfolg haben könne, weil kein Integrationswille erkennbar gewesen sei!² Wie kam sie zu dieser Einschätzung, obwohl sie sich noch kein umfassendes Bild hatte machen können und ihr offenbar vieles nicht bekannt war, und obwohl sie bis dahin weder die Erfahrungen und die Sicht der Familie noch die ihrer Bevollmächtigten zur Kenntnis genommen hatte?³ Und wie konnte sie mir dazu raten, mich lieber um aussichtsreichere Fälle zu bemühen? Wie konnte sie sagen, sie werde hier bei der ABH nicht protestieren, weil sie andere Petitions-„Fälle“ nicht gefährden wolle, in denen sie die Erfolgschancen bei der ABH Kreis Warendorf für realistischer halte?

 ⋅ Der Deutsch-Ausländische Freundeskreis DAF Drensteinfurt

Mein erstes Schreiben an den örtlichen Helfer*innenverein DAF wurde von der Vorsitzenden sehr kurz und bündig beantwortet. Frau Angenendt schrieb: „Guten Tag Frau Weber, ich will Ihnen nur kurz antworten, weil fast alles, was die Familie Ihnen erzählt hat, auf faustdicken Lügen beruht. Ich bin darüber informiert, dass die Stadt Drensteinfurt Sie ausführlich über die Wahrheit informiert hat …“,⁴ und endete mit ihrem „Rat“ an mich: „Wenn man eine Petition stellt, sollte zumindest ein Ansatz von Integrationswillen erkennbar sein.“

Auf mein zweites ausführliches Schreiben über die Hintergründe der Abschiebung und meine Fragen an sie antwortete Frau Angenendt gar nicht. Sie habe es auch nicht vor, sagte sie, als ich sie anrief. Dennoch notierte ich folgende ihrer Aussagen im Telefongespräch: Diese Familie habe „alle sehr belastet“, sie habe „keinerlei Bereitschaft sich einzubringen“ gezeigt. Sie benähmen sich „wie Chefs“, sie selbst habe sich von ihnen „wie ein Stück Dreck behandelt“ gefühlt. Sogar bei der Kleiderkammer-Ausgabe habe die Familie „gemeckert“. Die Leute seien „krass unbeliebt“, und „alle“ hätten gefragt, „wann kommt die Familie weg?“

 ⋅ Kein Wort von den Schulen zur Abschiebung ihrer Schüler*innen

Auch von den beiden Schulen, die die 4 Kinder in Drensteinfurt besuchten, kam bisher nur eisiges Schweigen: meine schriftlichen und telefonischen Anfragen wurden vermutlich von der Schulleitung gar nicht an die Lehrer*innen weitergegeben, sondern oben einbehalten. Denn kein einziges Wort des Erschreckens oder des Bedauerns kommt von den Lehrer*innen und Mitschüler*innen, weil ein Kind aus der benachbarten Schulbank plötzlich aussortiert und zwangsweise entfernt wurde: Fragt niemand, wohin es gebracht wurde und wie es ihm jetzt gehe?⁵

Die DAF im Nationalsozialismus als Vorbild?

Auch hier also das Schweigen und/oder Mitmachen bei der Aussortierung
Geflüchteter?! Sogar im Fall dieser Romafamilie, die über ihre Vorfahren wenig weiß, weil sie nur Fluchtgeschichten, prekäre Not und Anfeindungen von allen Seiten kennt, also zu ihrer eigenen Geschichte und Identitätssuche wenig Zugang haben kann? Und wir denken lieber gar nicht darüber nach, ob ihre Vorfahren nicht von unseren Vorfahren „selektiert“ wurden, wenn wir diese Familie stigmatisieren und aussortieren, wie es die DAF in Drensteinfurt tut, deren Abkürzung identisch ist mit der Abkürzung für die nationalsozialistische Deutsche Arbeitsfront, die von 1933 bis 1945 über 22 Millionen Mitglieder*innen hatte!? Die damalige NS – „Volksgemeinschaft“⁶ gründete auf ihrer Bereitschaft und ihrem Mitmachen bei der Selektion all derer, die nicht dazugehören sollten. Die Selektion endete an der Rampe in Auschwitz, der auch ½ Million Roma und Sinti zum Opfer fielen.⁷

Nicht nur die Staaten und die Mehrheitsbevölkerungen verfolgen die Roma, sondern auch wir, trotz der Verbrechen unserer Vorfahren an den Sinti und Roma!

Es wäre gut, wenn wir angesichts des heute von allen Seiten auf die Geflüchteten und insbesondere auf die Roma verübten ungeheuren Drucks zur Integration bei zugleich aufgehäuften Steinen zur Verhinderung derselben uns diese Geschichte über die Selektion wieder vor Augen führen – denn die Roma haben nirgendwo ein Land, zu dem sie sich gehörig und von dem sie sich beschützt fühlen können. Im Kosovo wie in Serbien, Mazedonien, Montenegro, Albanien, ebenso in den EULändern Bulgarien und Rumänien sind Roma heute so ausgegrenzt, gehasst und verfolgt, dass sie nirgendwo sicher sind. Im Gegenteil, ihre Verfolger kommen von den Mehrheitsbevölkerungen wie von deren Staaten, Institutionen und kommunalen Verwaltungen.
Trotz des Wissens darüber schauen wir lieber weg und machen stattdessen mit bei der Aussortierung, die Guten ins Töpfchen zu holen und die Schlechten ins Kröpfchen zu werfen, die wieder mehr und mehr gesellschaftlichen Raum auch unter uns „Flüchtlingshelfern“ gewinnt?

Sollten wir stattdessen nicht lieber darüber nachdenken, inwieweit die heute
geforderten Auswahlkriterien zur Anpassung bei den Roma – und zentral aus dem Kosovo, dem einzigen Land mit Visumszwang, aus dem die Abgeschobenen so gut wie nicht mehr entkommen können – , keine Anwendung finden dürfen, wenn wir uns nicht erneut an den Roma und ihrer Verfolgungsgeschichte aus Deutschland schuldig machen wollen? Denn die Beweise und Dokumentationen über die Verfolgung von Roma heute in den sog. Balkanländern sind erdrückend und finden dennoch keinen Eingang in die offizielle Begründung für die „Sicheren Herkunftsstaaten“!

Über die aktuell massenhaften Abschiebungen von Roma in die Balkanländer hat sich mittlerweile ein dröhnendes Schweigen gelegt. Allein aus NRW fliegen fast jede Woche dienstags und mittwochs die Charter nach Belgrad und Prishtina. Die letzten Flughafenproteste gegen die Abschiebungen von Roma fanden in NRW vor über 3 Jahren statt und wurden ausgerechnet dann eingestellt, als es mit den Roma-Deportationen gerade erst richtig losging! Zu den Abschiebungen kommen noch ca. doppelt bis dreifach so viele sog. „freiwillige“ Ausreisen hinzu, denn der Ausreisedruck ist besonders in den landeseigenenen Lagern, in die Geflüchtete aus den sog. sicheren Herkunftsländern von Beginn an bis zur erzwungenen Ausreise gesperrt werden, zum zentralen Teil von Sozialarbeit und Beratungs“angeboten“ geworden. Auch zu den Roma, die seit manchmal 15 oder gar mehr als 20 Jahren hier sind und trotzdem kaum Ausbildung oder Arbeit fanden oder zu krank sind oder sonstwie daran gehindert wurden zu arbeiten und nun rausgeschmissen werden, schweigen wir!

Wollen wir uns nicht mehr daran erinnern, dass, vor mehr als 1 Jahrhundert und sogar bis weit in die BRD-Zeit nach dem Holocaust, Roma als sog. „unnütze Esser*innen“ und „Asoziale“ führend von der deutschen Gesellschaft ausgegrenzt und verfolgt wurden? Antiziganistische Klischees werden aber nur überwunden durch tätige Praxis. Wenn wir uns nur noch für besonders gute Beispiele gelungener Integration engagieren, die nicht von rassistischen Gesetzen oder Behörden bestraft werden dürfen, aber zu den massenhaften Roma-Abschiebungen schweigen, vertiefen wir den rassistischen und antiziganistischen Konsens der Mehrheitsgesellschaft, der die Roma in die Existenzvernichtung und auf die Müllkippen Europas deportiert.

Am 16.12. ging morgens durch das Radio, dass vor 75 Jahren Himmler das Dekret zur Deportation und Vernichtung der Sinti und Roma erließ:

Beitrag im Deutschlandfunk

Bereits vorher, im Frühjahr 1942, nach dem Einmarsch der deutschen Wehrmacht, wurde Serbien (einschl. Kosovo) als „erstes Land“ von Wehrmachtsgeneral Turner gelobt, das nunmehr „zigeuner- und judenrein“ sei! Den Roma und ihren Nachfahren jedoch wurde bis heute keine Entschädigung oder „Wiedergutmachung“ zuteil.

Das Minimum der „Wiedergutmachung“ ist unser praktisches Eintreten für das bedingungslose Bleiberecht aller hierher geflüchteten und aller hier lebenden Roma!

Bitte protestieren Sie /protestiert gegen die Abschiebung der Familie B. aus Drensteinfurt bei der ABH Kreis Warendorf
– auslaenderamt@kreiswarendorf.
de – und beim Landrat Dr. Olaf Gericke und fordern Sie das Zurückholen der Familie und der Kinder nach Deutschland!

 

Mit guten Wünschen für friedvolle Feiertage und abschiebefreie Zeiten, für ein
weniger hässliches Jahr 2018, für mehr Engagement und Fantasie bei der
Begleitung und Unterstützung abschiebegefährdeter Roma und anderer Geflüchteter und bei unseren Kämpfen für das Existenzrecht und die Bewegungsfreiheit ALLER Menschen und auch der Papierlosen in unserem Land, verbleibe ich

mit besten Grüßen

Eva Weber
Forschungsgesellschaft Flucht & Migration e.V.
Gneisenaustr. 2 a
10961 Berlin – Nebenstelle in Dortmund
tel. ++49+30+20988433

Fußnoten:

1 Die Familie hat 5 Kinder, der älteste, 17-Jährige, hatte zu seinem Glück nicht in der Unterkunft übernachtet, weshalb er von der überraschenden Abschiebung verschont blieb. Zum Zeitpunkt des frühmorgendlichen Polizeiüberfalls schliefen alle anderen 4 Kinder mit ihren Eltern in einem einzigen Raum in einer für Familien ungeeigneten und sie sehr belastenden Unterkunft, die nur mit geflüchteten Männern belegt war. Als erstes wurden alle Handys weggenommen, damit keine Hilfe herbeigerufen werden konnte. Der Familie wurde keine Zeit zum Packen gegeben, alles musste sehr schnell gehen, um jede Hilfe und Rechtsmittel zu verhindern. Als wir davon erfuhren, war die Familie bereits im Kosovo.

2 Aus einem meiner letzten Berichte zur Abschiebung der Familie B.: “…Mit der Berichterstatterin im Petitionsausschuss des NRW-Landtags hatte ich am Dienstag ein längeres Gespräch: Frau Beer wusste bereits vor der Abschiebung von der ABH Warendorf, dass die nicht zuwarten, sondern auch schon vor dem Ende des Verfahrens abschieben würden! Da das Zuwarten ja rechtlich nicht einklagbar sei, sei es auch das Recht der ABH, wie in diesem Fall, nicht abzuwarten, dagegen habe man nichts machen können. Es seien auch für sie selbst keinerlei rechtliche Chancen für einen Verbleib der Familie hier sichtbar geworden… Ich habe gesagt, dass das nicht sein könne, denn die Kinder hätten trotz der für Familien vollkommen ungeeigneten und rechtswidrigen Unterbringung in der Gemeinschaftsunterkunft mit ausschließlich geflüchteten Männern seit den Sommerferien regelmäßig ihre Schulen besucht, und das oft auch mit Erkrankungen (die in ärztlichen Stellungnahmen dokumentiert sind, die ihr und auch der ABH vorliegen), und die Eltern seien fast täglich auf Arbeits- und Wohnungssuche gewesen. Die Erkrankung von Frau B. und ihre Depression mit Suizidneigung sei von der ABH nicht auf Reisefähigkeit geprüft worden – diese 3 Merkmale sind ja wohl Gründe genug, um ein Petitionsverfahren abzuwarten!…“

3 Die wiss. Mitarbeiterin beim Petitionsausschuss, Frau Esders, schrieb mir nach meinem empörten Protest gegen die Abschiebung: „…Ich muss leider aus aktuellem Anlass noch anfügen, dass sich die Flüchtlingshilfe vor Ort nicht für einen Verbleib der Familie ausgesprochen hat, da sie durch ihr u.a. auch kriminelles Verhalten für die Flüchtlingsarbeit in vielfacher Hinsicht eine Belastung war, gegenüber anderen Familien, die sich stetig um Integration bemühen und ebenfalls um ihren Aufenthalt bangen. Das…wurde uns aber von verschiedenen Seiten zugetragen. Die engagierten Flüchtlingshelfer vor Ort haben uns bereits signalisiert, dass sie sich in diesem Fall nicht engagieren möchten…“ und darauf meine Antwort: „… Wie „schlecht“ oder „kriminell“ müssen die Eigenschaften von Roma-Kindern sein, dass deutsche „Flüchtlingshelfer vor Ort“ heute ihre Deportation in ein Land tolerieren, in dem ihnen jede Zukunft und jede menschenwürdige Existenzmöglichkeit versagt ist, und noch dazu Kinder, die teilweise hier geboren und alle hier aufgewachsen und sozialisiert wurden, deren einzige Heimat dieses Land ist?…“

4 Roma lügen, noch dazu faustdick, während die „Wahrheit“ von der abschiebenden Ausländerbehörde im Verein mit dem Sozialamt kommt: die Aussage der Vorsitzenden eines Vereins, der die Interessen Geflüchteter zu unterstützen vorgibt?!

5 Mein 2. Schreiben an die Schulen enthielt auch eine Mitteilung, wie es der Familie jetzt im Kosovo geht: „…ich habe mit Verwandten in Deutschland und mit Frau B. im Kosovo gesprochen. Für die Kinder bedeuten die kommenden Feiertage wohl die schmerzvollsten und schockierendsten in ihrem bisherigen Leben: Die Familie hat weder eine Unterkunft noch Einkommen, nicht mal Geld für die Ernährung ist da, noch haben die Kinder eine Aussicht auf Schule, Freund*innen und Zukunft. Die erste Woche war die Familie jetzt bei einem Onkel im Romaviertel von Gjakova notdürftig untergebracht, indem alle zusammen in einem winzigen Raum auf dem Boden schlafen und dabei frieren mussten. Denn es gibt zu wenig Decken, geheizt wird mit Holz, das nachts schnell ausgeht und teuer ist. Zu essen haben sie nur etwas Mehl mit Öl und Salz, wovon Pfannkuchen gebraten werden. Weil der Onkel auch Familie und Kinder hat, denen es sehr schlecht geht (sie leben hauptsächlich vom Sammeln und Verkaufen aus Müll, was oft die einzige Einkommensquelle für Roma ist, die dort keine anderen Jobchancen bekommen), muss die Familie jedoch raus und etwas anderes suchen. Aber ihnen wird von niemand geholfen, man hat sie sowohl in der Hauptstadt Prishtina wie in der Kommune
Gjakova abgewiesen – sie sind ja Abgeschobene, also Versager, denen man dort mit Verachtung begegnet. Und sie kommen aus dem reichen Deutschland! Da glaubt jeder, sogar auch bei den Behörden (das wird nicht öffentlich, aber unter der Hand überall erzählt), dass sie heimlich versteckte Schätze mitbringen, die sie nur nicht mit den anderen teilen wollen!
Bitte erzählen Sie Ihren Schüler*innen, den Mitschüler*innen der abgeschobenen Kinder, davon! Und sicher haben Sie für die Kinder doch auch selbst Worte des Bedauerns, die ich ihnen wenigstens übermitteln könnte,
oder Grüße aus der Klasse von den Mitschüler*innen? Sie könnten der Familie damit einen kleinen Trost bereiten, wenn Sie in der Klasse über das Schicksal der abgeschobenen Kinder berichten würden, die ja nichts für Versäumnisse ihrer Eltern können! Sie könnten den Kindern eine Info für ihre Eltern mitgeben, in denen stünde, dass der Familie ein wenig mit einer Spende geholfen wäre…“

6 „Das Ziel der Deutschen Arbeitsfront ist die Bildung einer wirklichen Volks- und Leistungsgemeinschaft aller Deutschen. Sie hat dafür zu sorgen, dass jeder einzelne seinen Platz im wirtschaftlichen Leben der Nation in der
geistigen und körperlichen Verfassung einnehmen kann, die ihn zur höchsten Leistung befähigt und und damit den größten Nutzen für die Volksgemeinschaft gewährleistet“ (Hitler, Verordnung über Wesen und Ziel der DAF, 1934, § 2).

7 Heinrich Böll sagte 1981 in einem Spiegel-Interview: „Wenn man den einen aus dem Wasser zieht und den anderen nicht, betreibt man Selektion. Selbst wenn ich wüsste, dass der Verbrecher Verbrecher bliebe, würde ich ihn herausziehen… Vergessen Sie nicht, die Kriminalität ist eine Dimension des Menschlichen. Ich bin auch kriminell. Ich bin ein potentieller Krimineller. Sonst können Sie gar keine Romane schreiben, wenn Sie nicht potentiell kriminell sind. Und deshalb, weil ich potentiell nicht besser als andere bin, kann ich mir nicht anmaßen zu sagen: Du kommst an Bord, aber du da bist ein Schurke, ersauf…Ich habe einen furchtbaren Schrecken, einen physischen, einen intellektuellen und einen metaphysischen Schrecken vor dem Wort Selektion…“