SZ 14.07.2020
Die Zustände in manchen Unterkünften, wie hier in der Funkkaserne, sind besorgniserregend. Und die Stimmung wird schlechter.
(Foto: Robert Haas)
Hunderte Geflüchtete müssen derzeit wegen der Corona-Pandemie in überhitzten Unterkünften leben. Nur 30 Minuten dürfen sie täglich an die frische Luft, berichten Helfer.
Von Thomas Anlauf
Die Berichte, die derzeit aus Münchner Flüchtlingsunterkünften kommen, sind verstörend. Gerade in Container-Anlagen sollen tagsüber Temperaturen von bis zu 50 Grad Celsius herrschen. Doch die Menschen können offenbar nicht aus den Hitzekammern fliehen. Vier Gemeinschaftsunterkünfte mit 621 Bewohnern stehen nach Angaben des Münchner Gesundheitsreferats aktuell wegen Quarantäne-Maßnahmen unter strengen Ausgangsbeschränkungen.
Ehrenamtliche Helfer, Sozialpädagogen und auch Sozialverbände berichten, dass die dort untergebrachten Menschen täglich lediglich 30 Minuten an die frische Luft dürfen. Vielfach gibt es in den Unterkünften demnach nicht mal Fernseher auf den Zimmern, geschweige denn Internet, um sich wenigstens etwas ablenken zu können. „In den Blechcontainern herrscht eine unglaubliche Hitze. Besonders für die Kinder ist das unerträglich“, sagt Andrea Betz, Sprecherin der freien Wohlfahrtsverbände in München.
Corona-Ausbrüche in Flüchtlingsunterkünften
Immer wieder sind Flüchtlingsheime von Corona-Ausbrüchen betroffen. In Bayern steht eine ehemalige US-Kaserne seit acht Wochen unter Quarantäne. Eine Behörde sagt: „Wir haben noch keine Lösung.“ Von Claudia Henzler und Nina von Hardenberg
Eine Betreuerin von Geflüchteten, die vor wenigen Tagen in der staatlichen Unterkunft Funkkaserne war, berichtet von einer Mutter und ihrem einjährigen Mädchen. Sie habe das Kind als „lebhaft“ kennengelernt, jetzt „war es wie versteinert, reagierte auf keinerlei Reize von außen, wirkte wie erloschen“. Ein Sozialpädagoge der Caritas, der eine dreiwöchige Quarantäne einer staatlichen Unterkunft in Trudering miterlebt hat, spricht von „extrem angespannten Bewohnern“ während der Zeit. Die Leute hätten von der Regierung von Oberbayern „irgendein Essen bekommen“. Derzeit leben in der Unterkunft an der Stolzhofstraße nach Angaben des Betreuers mehr als 140 Menschen, darunter auch Kinder. Etwa die Hälfte der Menschen müssten dort gar nicht mehr wohnen, sie könnten ausziehen und sich eine Wohnung suchen. Doch in München finden viele der Menschen, die immer noch in den Unterkünften leben, nichts, obwohl „die meisten arbeiten“.
Die Caritas hatte wie zuvor auch andere Münchner Wohlfahrtsverbände im Mai die „räumlichen, sicherheitstechnischen und hygienischen Bedingungen“ in Flüchtlingsunterkünften der Regierung von Oberbayern kritisiert, nachdem zwei junge Geflüchtete in Kliniken an den Folgen des Corona-Virus gestorben waren. Im Juni trat zudem ein Mann in Hungerstreik, um gegen die Versorgung in einer Unterkunft zu protestieren. Der mehrfache Familienvater, der auch eine behinderte Tochter hat, kritisierte die Zustände in dem Flüchtlingsheim und nähte sich sogar den Mund zu.
Mittlerweile spitzt sich die Lage in mehreren Münchner Flüchtlingsunterkünften offenbar zu. Am Montag kritisierte die Innere Mission „die derzeit gültige Umsetzung der behördlichen Regelung, wonach komplette Flüchtlingsunterkünfte unter Quarantäne gestellt werden – auch wenn nur wenige Personen in dem Gebäude positiv auf das Corona-Virus getestet sind“.
Laut Gesundheitsreferat sind münchenweit derzeit 38 Unterkunftsbewohner positiv auf Corona getestet worden, der überwiegende Teil der Menschen dort lebt dennoch abgeschottet und in Angst vor einer Ansteckung. Den Bewohnern sei derzeit lediglich erlaubt, die Sanitäranlagen zu benutzen, das Essen werde vor die Tür gestellt. Somit seien die Menschen in den Einrichtungen gezwungen, zwei Wochen lang auf engstem Raum zu verbringen. „Jeder Person stehen nur rund sieben Quadratmeter zur Verfügung“, teilt die Innere Mission mit. Für drei von vier Gemeinschaftsunterkünften, die derzeit unter Quarantäne stehen, ist die Regierung von Oberbayern zuständig.
Trotz allem Verständnis für die Pandemieauflagen müsse es für die Menschen in den Flüchtlingsunterkünften eine „würdige Unterbringung“ geben, fordert Andrea Betz, die bei der Inneren Mission für Geflüchtete, Migration und Integration zuständig ist. Seit bald eineinhalb Jahren fordern die Wohlfahrtsverbände und auch der Stadtrat, dass insbesondere die großen Gemeinschaftsunterkünfte räumlich entzerrt oder sogar aufgelöst werden müssten. Im Mai hatte das Münchner Gesundheitsreferat empfohlen, dass Bewohner von Flüchtlingsunterkünften möglichst in Einzelzimmern wohnen sollten, um eine Ansteckungsgefahr zwischen den Bewohnern zu reduzieren. Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) hatte zudem im Juni angeordnet, dass Pensionszimmer angemietet und notfalls lediglich bereitgehalten werden müssten, um die beengte Situation in den Unterkünften zu verbessern.
Die Regierung von Oberbayern betont, dass die Wohncontainer „marktüblichen Standards“ entsprechen würden. „Eine ausreichende Lüftung der einzelnen Zimmer ist durch die zu öffnenden Fenster jederzeit gewährleistet“, teilt ein Sprecher am Montag mit. Die Bewohner würden „bestmöglichst“ unterstützt. „Im Einzelfall“ würden Zimmerventilatoren zur Verfügung gestellt.